Pınar Selek
Lasst uns ein paar Fragen stellen…

Ich bin eine Frau, die unter den Bedingungen des Krieges kämpft und militärische Angriffen ausgesetzt ist. Deshalb ist dieses Treffen für mich von großem Interesse und ich danke allen Freundinnen, die es organisiert haben.

 

In der Türkei erleben wir seit langer Zeit Kriegswirren. Wir sind durch Tod, Folter, Gefängnis, Verbote und Lynchgesetze gegangen. Der Krieg konzentriert sich zwar in einer Region, aber er drückt sich auch im Rest des Landes aus. Keiner kann ihn stoppen. Hinzu kommt, dass wir uns mit der Zeit an den Krieg gewöhnen, wie man sich an eine abgeschnitten, gebrochene Hand gewöhnt. Die meisten Menschen, groß geworden in einer angelernten Verzweiflung, ziehen es vor, sich von diesem Kontext zu distanzieren und die Augen zu verschließen.

 

Krieg beschränkt sich nicht auf die Türkei, Irak, Libanon oder Palästina, Krieg ist heute universell. Dass Gewalt heute in der gesamten Welt akzeptiert wird, ist eine unbestrittene Realität. Wir winden uns im Joch der unbegrenzten Machtmechanismen.

 

Wir verfolgen den allumfassenden Krieg und die neue Holocauste. Wir verfolgen sie mit Verzweiflung. Wir sind verloren in der Entfremdung, dem Konsumverhalten und der Gewalt. Wir schweigen und wir gehorchen der Verzweiflung. Wir beobachten, dass das Ende des Kapitalismus der Terror ist und wir ihn nicht stoppen können.

 

Ich will nicht darüber sprechen, was Frauen in Kriegszeiten durchmachen. Dies ist sehr oft das Thema. An dieser Stelle will ich zu Euch ausschließlich über die entwickelten feministischen Positionen sprechen.

 

Wir verfügen über einen guten Wissensstand über Gewalt an Frauen in Kriegszeiten. Wir wissen sehr gut, dass Männer in den Krieg geführt werden. Wir sind uns bewusst, dass wir das sexuelle Verlangen an ein idealisiertes Objekt richten, und es ist nicht hilfreich, die ganze Zeit über Schmerzen zu sprechen, über Folter und aller Formen der Gewalt, die Frauen erleiden.

 

Heutzutage können wir klar sehen, wie wir einer Sexualisierung der Beziehungen der politischen Einheiten beiwohnen. Das verordnete Foltern, das der Westen für Muslime angemessen hält, ist kehrt zyklisch wider. Wir haben uns schon früher Gedanken gemacht, wie man die Seele eines muslimischen Mannes verletzt. Die Foltertechniken im Nahen und Mittleren Osten wenden den rassistischen Orientalismus an. Um die Männer zu erniedrigen, missbrauchen wir nicht nur die Frauen, sondern wir verletzen die Männlichkeit, indem wir sie feminisieren. Wir akzeptieren die Existenz der Sexualität und ihrer Würde nicht. Das Bild von über einander gestapelten  Körpern, das Bild von der Existenz voll von Köpfen, voll von Armen und Beinen. Das Bild des Objekts fern jeglicher Rechte ist unsere Realität. Dies ist unser Bild.

 

Was uns ausweglos und atemlos macht, ist, dass die schwächsten, verletztlichsten Minderheiten die Gewalt predigen. Außerdem haben sie einen schändlichen Diskurs und diese Sprache hat einen großen Effekt. „Der einzige Weg des Widerstandes ist Gewalt“. Dieser Glaube ist nun unumstritten. Auch wenn es kleinere Gegenpositionen gibt, rechtfertigen wir die Gewalt der Schwächsten.

 

In den schändlichen Reden der Macht wird Militarismus als einziger politischer Weg akzeptiert. Wir denken immer noch, dass Frieden nach dem Krieg geboren werden kann. Jeder schreibt seine Wahrheit auf die Berge, in die Meere und in den Himmel. Im diesem kriegerischen Kontext, indem jeder seine Wahrheit mit Gewalt verteidigt, werden Freiheit und Demokratie zerstört.

 

In diesem Kontext werden Freiheit und Demokratie zerstört. Das Militärische, das Männliche, das Starke steigt in den Rang der Gerechtigkeit auf. Da wir keine effektive, organisierte und aktive Politik gegen Ungerechtigkeit führen können, wird die pazifistische Position als elitär, liberal, weiß und schüchtern betrachtet. Pazifismus in der weiblichen Form hat seit langer Zeit sein Dasein verloren.

 

Besonders jetzt müssen wir ihn hinterfragen, radikal hinterfragen, weil wir eine Perspektive des totalen Kampfes gegen den Krieg brauchen. Für dieses Anliegen müssen wir die feministische Analyse beschreiten (leave). Die feministische Perspektive betont die Verbindung zwischen Militarismus und den sozialen Kräften, stärkt die Analyse, die die rassistische Gewalt und auch die Erfahrung begreifen kann, die die Versuche der Freiheit mitberücksichtigt. Wir brauchen diese Perspektive und ihre Erfahrungen.

 

Für Freiheit ist es notwendig, die Gewalt vollständig auslöschen.  Bisher konnten diejenigen Freiheitsversuche, die die Machtmechanismen nicht in ihrer Ganzheit berücksichtigten, diese nicht fortsetzen. Die Linke, die Freiheit im Rahmen des Kampfes um die Macht betrachtet und keinen ganz alternativen Vorschlag hat, baut trotz ihres Kampfes für Frieden eine hegemoniale Macht (a hegemonic power) auf. Die Linke reproduziert die Denkweise und die Sprache des Systems, gegen das sie kämpft. Sie legitimiert Disziplinarmechanismen, Nationalismus, Führungskult und militärisches Heldentum. Die Linke ist nicht wirklich gegen Krieg. Sie hat nicht versucht, den Krieg zu verurteilen, sie sprach über Schlachten und war an Strategien und Taktiken interessiert. Dieser Ansatz und diese Politik rechtfertigt Gewalt und Krieg.

 

Die Frauenbewegung hat auch Verantwortung für die Abwesenheit eines effektiven Kampfes gegen Krieg. Die Befreiungskämpfe, die Sexismus nicht beachten, können die Gesellschaft nicht verändern. Die feministische Theorie beschäftigte sich mit der Geschichte der politischen Realität, zeigte die Rolle der Männlichkeit auf diesem Gebiet, analysierte wie die große Macht kleine Mächte hervorbringt, wie Militarismus die sexistische Sprache und Mentalität schafft. Indem die feministische Theorie die wissenschaftlichen Methoden und Philosophie kritisierte, schaffte sie eine eigene Analyse und eröffnete einen Weg des Dialoges. In seiner stürmischen Geschichte hat der Feminismus also das Paradigma, die Sprache und den Kalender einer entgegen gesetzten Bewegung beeinflusst. Wir brauchen den Feminismus, um die Mechanismen von Gewalt, Nationalismus, Diskriminierung, die Verstümmelung von Menschen, Kapitalismus, Heterosexismus, Militarismus und Krieg zu überwinden.

 

Andererseits muss die Frauenbewegung antimilitaristisch sein, um eine unabhängige Politik zu entwickeln. Das Patriarchat reproduziert sich selbst täglich im sozialen Leben, deshalb ist es notwendig den Kampf weiterzuführen. Seit seinem Entstehen wurde die libertäre Frauenbewegung als ein Feld des politischen Kampfes betrachtet und kämpfte darum, ihre Unabhängigkeit zu behalten.

 

Jahrhunderte der Instrumentalisierung und der Beherrschung von Frauen führten ohne Überraschung zu Versuchen, die Frauenbewegung zu kontrollieren. All die Ideologien, die behaupten, in der Lage zu sein ein neues System zu schaffen, haben ein weibliches Symbol. Besonders heutzutage sind alle politischen Strukturen an den „Frauenproblemen“ interessiert und sprechen im Namen von Frauen.

 

Auch ist die Frauenbewegung heute noch nicht um den Feminismus vereint. Die Frauenbewegung, die ihre radikale Linie verliert, erlebt die Schwierigkeiten, ihre Erfolge in radikale Freiheit überzuleiten und ist entlang von Machtkämpfen gespalten. Deshalb begrenzt sich ihre Agenda auf Gewalt gegen Frauen und die Gleichheit zwischen Männern und Frauen; aber sie hat auf diesen Gebieten keine Analyse der allgemeinen Politik.

 

Wenn wir nicht gegen die nationalistische, rassistische, kapitalistische und militaristische Konstruktionen angehen, wird es schwierig, Heilmittel für unsere Wunden zu finden. Weil sich das Patriarchat dauernd erneuert, müssen wir immer von vorne anfangen und unsere Handlungen gegen Dynamiken entfalten, die wir ablehnen.

 

Feminismus ist keine Politik für die Rechte und Bedürfnisse von Frauen. Eines der Ziele von Feminismus ist die Solidarität unter den Frauen zu erhöhen, aber auch gegen das Patriarchat zu kämpfen und eine Perspektive zu entwickeln, die mit anderen sozialen und politischen Kräften verbunden ist. Die feministische Theorie analysiert besonders die Rolle des Militarismus in der Reproduktion des Patriarchats. Der Feminismus liefert eine theoretische und politische Grundlage, in der die Frau zum Subjekt ihrer eigenen Befreiung wird.

 

All unsere Erfolge können aber in dem aktuell herrschenden katastrophalen weltweiten Kontext vernichtet werden. Täglich wird der Himmel dunkler. Das globalisierte System organisiert eine neue Weltordnung. Deshalb ist es ratsam, Wege des Kampfes gegen Militarismus und die Mechanismus der Gewalt zu schaffen.

 

Wir müssen über die militaristischen Prinzipien nachdenken und ihre Spuren im täglichen Leben und in der internationalen Politik verfolgen.

 

Der Militarismus beeinflusst unsere Leben abhängig von unserem Status in der sozialen Hierarchie auf unterschiedliche Art und Weise. Um also das Leben sowohl zu interpretieren als auch zu verändern, müssen wir unsere Unterschiedlichkeiten in einer gemeinsamen Wirklichkeit betrachten. Um die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten zu erblicken, ist es wichtig die verschieden Formen des Feminismus zu kennen, der eine Ideologie aber zugleich auch eine Bewegung für Freiheit ist.

 

Um uns gegenseitig zu kennen zu lernen und um uns zu helfen, starke Beziehungen zwischen Frauen zu weben, lasst uns einige Fragen stellen:

Wie können wir uns ausdrücken? Was sind die Folgen des Militarismus in der Welt und in unseren Ländern? Wie kämpfen wir? Leisten wir Widerstand? Warum und wie? Wie können wir gemeinsam eine politische Grundlage schaffen, in der wir unsere Unterschiedlichkeiten kennen, ohne daraus Formen von rassistischen Orientalismus abzuleiten oder das Ideal einer globalisierten und einförmigen Weltgesellschaft abzuleiten?

 

Wir müssen diese Fragen diskutieren und ein neues Konzept von Demokratie und Pluralismus entwerfen. Wir brauchen statt eines Schlachtfeldes ein Feld, um zu grüßen, einzuladen, zuzuhören, zu beobachten, zuzusehen, zu lernen und zu teilen.

 

Die schrecklichen Ausmaße des Militarismus zwingen die feministische Bewegung wieder aufzustehen.

 

Ich bin voller Hoffnung. Auf moralischer Ebene ziehe ich die Verzweiflung einer oberflächlichen Hoffnung vor. Dieses Gefühl macht mich aktiver. Ich möchte, dass wir einen Schritt zusammen gehen.

Einen Schritt, der Grenzen überschreitet.

 

Pınar Selek

 

Pınar Selek
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Mahkeme Süreci Court Process