Pınar Selek
„Ich will nicht als Opfer gesehen werden“




Pinar Selek ist in der ganzen Türkei berühmt und gefürchtet als streitbare Autorin, Soziologin und Journalistin. 1999 wurde sie angeklagt, auf einem Istanbuler Markt eine Bombe gelegt zu haben, wurde gefoltert, zweieinhalb Jahre lang inhaftiert und schliesslich freigesprochen. Nun soll der Prozess wiederaufgenommen werden. Im Interview spricht Selek über die Umstände, die zur Anklage führten, ihre Erfahrungen im Gefängnis und ihre Schwierigkeiten mit dem europäischen Feminismus.


David Signer


Die türkische Schriftstellerin, Soziologin und Journalistin Pinar Selek, 38, hat sich einen Namen gemacht als Kämpferin für die Sache der Kurden, der Strassenkinder, der Frauen, der Homo- und Transsexuellen. Für heftige Diskussionen sorgte insbesondere ihr 2008 erschienenes Werk über die Armee als „Lehranstalt der Männlichkeit“, das demnächst unter dem Titel „Zum Mann gehätschelt, zum Mann gedrillt“ auf Deutsch erscheint. 1999 wurde Selek angeklagt, im Namen der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in einem Istanbuler Markt eine Bombe gelegt zu haben; eine Explosion hatte sieben Tote und 120 Verletzte gefordert. Selek verbrachte zweieinhalb Jahre in Präventivhaft, wurde gefoltert, jedoch nie rechtsgültig verurteilt. Demnächst kommt der Fall zum dritten Fall vor Gericht. Diese Ankündigung hat weltweit zu heftigem Protest geführt, unter anderem von PEN International, aber auch von bekannten Persönlichkeit wie Noam Chomsky, Claudia Roth, Yasar Kemal und Orhan Pamuk. Selek lebt gegenwärtig als Stipendiatin der Heinrich Böll-Stiftung in Köln. Das folgende Gespräch wurde in Zürich geführt, wo Selek anlässlich des „Writers in Prison“-Tages im November einen Vortrag hielt.


Frau Selek, von aussen gesehen erscheint es absurd, dass man in der Türkei einer etablierten Soziologin wie Ihnen seit Jahren einen Bombenanschlag in die Schuhe zu schieben versucht. Wie kam es dazu?


1998 wurde ich in Istanbul verhaftet, während ich an einem Buch über die Kurdenfrage arbeitete. Ich hatte während meiner Recherchen mit zahlreichen militanten PKK-Mitgliedern im In- und Ausland gesprochen, und die Polizei wollte Namen, Aufenthaltsorte etc. von mir. Darum ging es; die Bombe brachten sie erst später ins Spiel. Alle meine Manuskripte und Kassetten wurden beschlagnahmt. Ich hatte schon vorher mit ausgeschlossenen Minderheiten gearbeitet: Strassenkindern, Bettlern, Zigeunern, Sexarbeiterinnen, Homo- und Transsexuellen, und es gehörte für mich zur selbstverständlichen Berufsethik als Soziologin und Journalistin, meine Quellen zu schützen. Mein Zugang zur PKK war kritisch, aber zugleich sachlich in einem wissenschaftlichen Sinne. Meine Forschung fiel in eine sehr nationalistisch-militaristische Periode, als die Türkei versuchte, den PKK-Anführer Abdullah Öcalan zu fangen, was ihnen kurz darauf auch gelang. Das wusste ich damals noch nicht, aber diese Ermittlungen waren vielleicht auch ein Faktor für meine Verhaftung.

Man versuchte dann, diese Informationen mit Gewalt aus Ihnen herauszupressen, nicht wahr?

Ich sass mit dem Uniformierten in einem Raum. Während er meine Manuskripte las, sah ich, wie er immer wütender wurde. Nachdem sie mit der Folterung begannen, überlegte ich, wie ich das überstehen könnte. Ich setzte mir immer wieder eine Frist von zwei Minuten. Ich sagte mir: Noch zwei Minuten lang werde ich nichts mitteilen. Und dann gab ich mir weitere zwei Minuten. Und dann dachte ich: Komm, zwei weitere Minuten hältst du noch durch. Ich wusste: Würde ich die Namen herausrücken, könnte ich nie mehr in meine
Pınar Selek
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Mahkeme Süreci Court Process