Pınar Selek
Literatur „Sie versteinern, um sich zu schützen“
23.9.2010



Von Petra Pluwatsch, 20.09.10, 22:52h, aktualisiert 20.09.10, 22:53h

Die Schriftstellerin Pinar Selek stellt am Dienstag im Kölner Literaturhaus ihr neues Buch vor. Darin schreibt sie über den Männlichkeitskult in ihrer türkischen Heimat - und dessen verheerende Folgen.

Die türkische Schriftstellerin Pinar Selek.
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Die türkische Schriftstellerin Pinar Selek.
Pinar Selek ist ein wenig zu früh gekommen und wartet bereits auf ihre Gesprächspartnerin. Das dunkle, lockige Haar ist zu einer lässigen Hochfrisur aufgetürmt, eine bunte Kette schmiegt sich um ihren Hals. Vor ihr liegt eine Packung Zigaretten. Sie deutet auf die Schachtel und zieht fragend eine Augenbraue hoch. Darf ich? Natürlich darf sie. Eine Dolmetscherin und der Freund sind mitgekommen in die unordentlich-gemütlichen Räumen des Berliner Orlanda-Verlags. Ihr Deutsch sei nicht das Beste, entschuldigt sich Pinar Selek auf Türkisch, doch das könne ja noch werden. Zeit, die Sprache zu lernen, werde sie vermutlich genug haben, und das solle jetzt bitte nicht zynisch klingen.

Seit einem Jahr lebt die 39-Jährige türkische Friedensaktivistin, Frauenrechtlerin und Buchautorin in Berlin, beileibe nicht ungern, wie sie sogleich beteuert, doch eben alles andere als freiwillig. Pinar Selek ist eine Verfolgte, ein „Writer in Exile“, der die deutsche Sektion der Schriftstellervereinigung Pen Schutz, Hilfe und ein Stipendium gewährt. Kürzlich ist in Deutschland ihr Buch „Zum Mann gehätschelt, zum Mann gedrillt“ erschienen. In ihrer Heimat sorgt es seit zwei Jahren für Furore.

„Türkei voller Widersprüche“

Männer, so ihre These, sind mehr oder minder „ramponierte Wesen“, eingezwängt in ein enges Korsett aus Pflichten, Regeln und Machtansprüchen. Warum sie so sind, wie sie sind - dieser Frage ist die Autorin in Gesprächen mit knapp 60 türkischen Männern unterschiedlichen Alters nachgegangen. Am heutigen Dienstag wird sie ihr Buch im Kölner Literaturhaus vorstellen.

In ihrer Heimat gilt die Soziologin, Tochter eines linken Anwalts und einer Apothekerin, als eine der Ikonen der Demokratiebewegung. Sie setzt sich ein für die Rechte der Kurden und der Homosexuellen, engagiert sich für Prostituierte und Straßenkinder. Bekannt wurde sie mit einer Untersuchung über das Schicksal von Transsexuellen in der Türkei. Nicht jedem gefällt das. „Die Türkei“, sagt Pinar Selek, „ist ein Land voller Widersprüche. Es gibt eine sehr traditionelle, aber auch eine sehr moderne Lebensform. Beide stehen im Widerspruch zueinander, unterliegen aber auch selber immer wieder Veränderungen.“ Vor allem die Frauen, sagt sie, „haben an Willensstärke gewonnen“.

Hoffnung, dass sich die Dinge zum Besseren wenden, gibt ihr das Ergebnis der jüngsten Volksabstimmung in der Türkei: 58 Prozent der Wähler stimmten am 12. September für eine Verfassungsreform - genug, „um der Regierung zu signalisieren, dass sie weitere Veränderungen einleiten muss“.

Widersprüche und Ängste so ihre Beobachtung, prägen auch das Leben der Türken in Deutschland. Und manchmal, sagt sie, kämen ihr ihre emigrierten Landsleute „wie eingefroren“ vor. „Das Gefühl, fremd und arm zu zu sein, bringt es mit sich, dass sie sich in Gefahr fühlen. Und weil sie sich in Gefahr fühlen, halten sie sich fest an Werten, die in der Türkei längst überholt sind. Sie versteinern, um sich zu schützen und die eigenen Werte zu bewahren.“ Kann man es ihnen vorwerfen? Einer wie Thilo Sarrazin jedenfalls sollte das nicht tun. Entschuldigen solle er sich für seine „Unverschämtheiten“, sagt Pinar Selek. „Dann können wir uns hinsetzen und über die Situation der Türken in Deutschland reden.“

Sie selber bekam die gewalttätige Seite ihres Landes zu spüren, als sie 1998 für ein Buchprojekt über die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK recherchierte. Die damals 27-Jährige wurde verhaftet und kam in Untersuchungshaft. Sie soll, so der Vorwurf, einen Bombenanschlag auf den Gewürzbasar von Istanbul verübt haben. Mit Elektroschocks versuchten die Peiniger, ihr die Namen von angeblichen Mittätern zu entlocken. Dass die Explosion, wie Experten längst vermuteten, auf eine defekte Gasflasche zurückzuführen war, tat nichts zur Sache.

Zweieinhalb Jahre blieb Pinar Selek in Haft. Vor den Toren des Gefängnisses demonstrierten Straßenkinder, mit denen sie gearbeitet hatte, Prostituierte und Transsexuelle für ihre Freilassung. Pinar Selek redet ungern über diese Zeit. Ihr Gesicht verliert das offene Lächeln, das das Gespräch bislang begleitet hat; ihr Körper versteift sich sichtlich. „Kafka“, sagt sie, und den Schwall türkischer Wörter, der nun folgt, versteht man auch ohne Dolmetscherin. Wie in „Der Prozess“ von Kafka fühle sie sich: gefangen in einer ausweglosen Situation. 2006 wurde Pinar Selek von allen Vorwürfen freigesprochen, doch drei Jahre später hob das Oberste Kassationsgericht den Freispruch wieder auf, Pinar Selek verließ Hals über Kopf die Türkei. Bei einer erneuten Verurteilung droht ihr eine lebenslange Haftstrafe.

Parallelen zur Verhaftung des türkischstämmigen Schriftstellers Dogan Akhanli drängen sich auf. Der regimekritische Autor floh 1992 aus der Türkei und lebt seitdem in Köln. Am 10. August wurde er bei seiner Einreise in die Türkei verhaftet und sitzt seitdem in der Nähe von Istanbul in Untersuchungshaft.

Auch Akhanli wird eine Straftat vorgeworfen. Er soll im Oktober 1989 an einem bewaffneten Überfall auf eine Wechselstube in Istanbul beteiligt gewesen sein. Wie gestern bekannt wurde, soll demnächst ein Gerichtsverfahren gegen ihn eröffnet werden. Der Staatsanwalt fordert eine lebenslängliche Freiheitsstrafe: Der Autor sei Kopf einer „terroristischen Gruppe“ und habe den Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung der Türkei angestrebt.

„Ich habe ja noch Glück“

„Das sind Stellvertretervorwürfe“, sagt Pinar Selek. „Man terrorisiert Menschen, die etwas politisch Unbotmäßiges gesagt oder getan haben, wegen einer Sache, meint aber eine ganz andere.“ Kurz nach Akhanlis Verhaftung meldete sich seine Ehefrau bei ihr. „Ich wusste, wie sie sich fühlt, denn meiner Familie ist es nach meiner Verhaftung nicht anders gegangen.“ Ende Oktober wird Pinar Selek in Köln an einer Solidaritätsveranstaltung für Akhanli teilnehmen.

Wie lange sie selber in Deutschland bleiben wird - Pinar Selek weiß es nicht. Derzeit schreibt sie an ihrer Doktorarbeit, ein Roman ist in Vorbereitung. „Es ist nicht einfach, im Exil zu leben“, gibt sie zu. „Aber ich habe ja noch Glück. Ich lebe.“

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Mahkeme Süreci Court Process